Antibiotika-Verschreibungen: Packungsgrösse spielt eine entscheidende Rolle

Zu grosse Antibiotika-Packungen führten in der Schweiz im Jahr 2022 zu etwa 2,7 Mio. zu viel verschriebenen und damit überschüssigen Tabletten - dies in Zeiten von Medikamenten-Lieferengpässen und problematischen Antibiotikaresistenzen. Diese erstaunliche Erkenntnis bringt eine neue Studie von Helsana in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Zürich und dem Schweizerischen Zentrum für Antibiotikaresistenzen zutage.

27.02.2025
Dr. med. Sabrina Stollberg, Dr. Sereina Graber
6 min

In vielen Ländern, so auch in der Schweiz, sind Antibiotika nur in vordefinierten Packungsgrössen erhältlich. Die Anzahl der Tabletten und die Dosierung entsprechen oft nicht den medizinischen Behandlungsempfehlungen. Das führt oft unvermeidlich dazu, dass zu viele Tabletten verschrieben werden. Die Folgen davon können sowohl eine falsche Selbstmedikation als auch eine unsachgemässe Abfallentsorgung sein. Diese Entwicklung kann sogenannte Antibiotikaresistenzen fördern. Denn: Je mehr Antibiotika eingesetzt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht mehr wirken, weil Bakterien resistent werden. Jahr für Jahr sind weltweit etwa fünf Millionen assoziierte Todesfälle auf solche Antibiotikaresistenzen zurückzuführen (Murray et al. 2022).

Es war bisher nicht bekannt, wie hoch der Anteil an verschriebenen Packungsgrössen ist, die möglicherweise nicht den Vorschriften in der Schweiz entsprechen. Eine neue Studie schafft hier Klarheit (Stollberg und Graber et al. 2024).

Mindestens ein Drittel der verschriebenen Packungen ist nicht leitlinienkonform

Die Studie untersucht, welche Packungsgrössen von Antibiotika, die zur Behandlung der fünf häufigsten Infektionskrankheiten (z.B. Harnwegsinfekt oder Lungenentzündung) empfohlen werden, die Hausärzteschaft in der Schweiz im Jahr 2022 verschrieben haben. Es zeigte sich, dass rund ein Drittel der verschriebenen Packungen von den empfohlenen Dosierungen abweichen, was im Jahr 2022 schätzungsweise zu 2,7 Millionen zu viel abgegebenen Tabletten führte.

Im Detail zeigen die Ergebnisse, dass der Grad der Übereinstimmung zwischen Verordnung und Behandlungsempfehlungen jeweils stark vom Wirkstoff des Antibiotikums und dessen verfügbaren Packungsgrössen abhängt. Ein Beispiel ist der Wirkstoff Fosfomycin. In der Studie ist er das am zweithäufigsten verordnete Antibiotikum und wird fast ausschliesslich bei Harnwegsinfektionen bei Frauen eingesetzt. Alle Verordnungen entsprechen der Leitlinien-Empfehlung, da die verfügbare Packungsgrösse genau der empfohlenen Menge entspricht. Ganz anders sieht dies beim Wirkstoff Nitrofurantoin aus: Auch diese Antibiotikagruppe wird hauptsächlich für Harnwegsinfekte empfohlen, jedoch fehlt eine passende Packungsgrösse, so dass in allen Fällen unausweichlich zu viele Tabletten verschrieben werden.

Generell ist festzuhalten, dass insgesamt für fast die Hälfte der in der Studie berücksichtigten medizinischen Behandlungsempfehlungen keine passenden Packungsgrössen auf dem Schweizer Markt verfügbar sind.

Weitere untersuchte Beispiele von Antibiotikagruppen geben jedoch Hinweise darauf, dass die Einhaltung der medizinischen Empfehlungen nicht nur von den verfügbaren Packungsgrössen abhängt. Selbst wenn adäquate Packungsgrössen verfügbar sind, wird in einigen Fällen nicht immer gemäss den vorliegenden Empfehlungen verschrieben.

Abb.1 Behandlungs-Empfehlungen versus Verschreibungspraxis für das Jahr 2022
(Auswahl von 2 aus 23 analysierten Wirkstoff/Infektions-Kombinationen)

Quelle: Helsana

Auf politischer Ebene ist nun Handeln angesagt

Zur nachhaltigen Verbesserung der Situation sollte nun an verschiedenen Stellen angesetzt werden. Neben einer verstärkten Sensibilisierung der verschreibenden Ärzteschaft sowie den abgebenden Apotheken sollten Alternativen wie die präzise Tabletten-Abgabe geprüft werden. Dies wird in Ländern wie den Niederlanden oder Grossbritannien bereits erfolgreich praktiziert. Diese individuellen Abgabemöglichkeiten dürften langfristig erfolgversprechender sein als die fortlaufende Anpassung von Packungsgrössen, insbesondere vor dem Hintergrund sich immer wieder ändernden Leitlinienempfehlungen und variierenden Therapiebedürfnissen je nach Indikation.

Eine Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2021 (Hanimann et al. 2021) sowie eine aktuell vom Bundesrat beauftragte Regulierungsfolgeabschätzung untersuchen die Kosten-Nutzen-Verhältnisse der Einzelabgabe von Antibiotika. Dabei werden beispielsweise der Mehraufwand in der Abgabepraxis den potenziellen Einsparungen durch reduzierte Tablettenmengen gegenübergestellt. Selbst wenn kurzfristig höhere Kosten nachgewiesen würden, muss berücksichtigt werden, dass die langfristigen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen von Antibiotikaresistenzen erheblich sind. Fest steht: Der Anteil potenziell nicht leitlinienkonformer Antibiotikaverschreibungen ist beträchtlich, wie diese neue Studie erstmals systematisch aufzeigt. Angesichts steigender Gesundheitskosten, Medikamentenengpässen und zunehmender Anforderungen an Nachhaltigkeit ist die Abweichung zur optimalen medizinischen Praxis besorgniserregend und sollte durch die Politik aufgenommen werden.

Literatur:
- Stollberg und Graber et al. (2024): Discrepancy between antibiotic pack sizes and guideline recommendations: a real-world analysis based on claims data. Infection, doi: 10.1007/s15010-024-02420-9. Epub ahead of print. PMID: 39441463.
Link: https://link.springer.com/article/10.1007/s15010-024-02420-9
- Murray et al. (2022): Global burden of bacterial antimicrobial resistance in 2019: a systematic analysis. The Lancet 399: 629-655.
- Hanimann A, Hertig V, Stehlin C, Oetterli M, Visschers V (2021): Machbarkeitsstudie zur Einzelabgabe von Antibiotika: Schlussberichts zuhanden des Bundesamts für Gesundheit (BAG) [Feasibility study on the individual distribution of antibiotics: Final report for the Federal Office of Public Health (BAG)]. Schweizerische Eidgenossenschaft, ARAMIS.
Link: https://www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=55805&Sprache=de-CH