Antibiotika - Eine Bestandesaufnahme:
Wer verschreibt wie viel?
Der Antibiotikaverbrauch ist zwischen 2015 und 2022 im ambulanten Sektor leicht gesunken. Die vorliegende Studie zeigt zudem, dass nicht alle ärztlichen Fachgruppen gleichermassen zum Rückgang beigetragen haben.
Der verantwortungsvolle Umgang mit Antibiotika ist heute wichtiger denn je. Mit jeder Verwendung steigt die Gefahr, dass Bakterien Resistenzen entwickeln, also unempfindlich gegen Medikamente werden. Dies führt zu immer mehr Infektionen mit komplizierten Verläufen und erhöhtem Behandlungsbedarf, und verursacht weltweit jährlich rund 5 Millionen damit zusammenhängende Todesfälle (Murray et al. 2022). Dies wird auch als «stille Pandemie» bezeichnet. Eine neue Studie von Helsana in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Zürich und dem Schweizerischen Zentrum für Antibiotikaresistenzen hat untersucht, wie hoch die aktuelle Verordnungsmenge der Antibiotika ist und welche ärztlichen Fachgruppen in der ambulanten Versorgung der Schweiz am meisten verschreiben. Die Ergebnisse bringen Überraschendes ans Licht.
Antibiotikaverbrauch sinkt deutlich – aber nicht in allen Bereichen
Zwischen 2015 und 2022 ist der gesamte Antibiotikaverbrauch in der ambulanten Versorgung um 12 Prozent gesunken (Abb. 1a). Ein erfreulicher Trend ist auch der Rückgang bei der Verschreibung von Fluorchinolonen, einer Antibiotikagruppe, die gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur bei einer begrenzten Anzahl von Infektionen angebracht ist und ein besonders hohes Risiko für Antibiotikaresistenz in sich birgt (Abb. 1b). Zwischen 2015 und 2022 hat sich die verschriebene Menge dieser Gruppe – gemessen als Anzahl empfohlener Tagesdosen pro 1'000 Einwohner pro Tag - fast halbiert. Diese Rückgänge deuten auf einen verantwortungsbewussteren Umgang mit Antibiotika hin. Dies ist entscheidend im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen.
De Studie zeigt jedoch auch, dass nicht alle ärztlichen Fachbereiche gleich viel zum Rückgang der Antibiotikaverschreibungen beigetragen haben. Bei den Grundversorgenden (-13.5%) und den Spezialisten (-24%) – sowohl insgesamt als auch speziell bei Fluorchinolonen – war er sehr stark ausgeprägt, während in den Spitalambulatorien sogar eine leichte Zunahme zu verzeichnen war (+2.5%).
Grundversorger und Ambulatorien verschreiben am meisten Antibiotika
Betrachtet man jedoch die prozentuale Verteilung der aktuellen Verschreibungspraxis nach ärztlichen Fachgruppen, so lässt sich Folgendes beobachten: Trotz rückläufiger absoluter Werte bei den Antibiotikaverschreibungen in der Grundversorgung über die letzten Jahre, sind nach wie vor die Grundversorgenden für den Grossteil der Antibiotikaverschreibungen verantwortlich (rund zwei Drittel). Ein Blick auf unsere Nachbarländer zeigt allerdings, dass die Schweiz im europäischen Vergleich damit deutlich tiefer liegt als zum Beispiel Frankreich (80%; Bara et al. 2022).
Der zweitgrösste Anteil an Antibiotikaverschreibungen mit 21% erfolgte im Rahmen der ambulanten Versorgung in Spitälern. Die restlichen rund 10% entfallen auf die Gruppe der ambulanten Spezialisten. Da sich bisherige Massnahmen zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen hauptsächlich auf die Grundversorgenden konzentrierten, zeigen diese Ergebnisse, dass auch andere Fachbereiche, insbesondere auch Spitalambulatorien, verstärkt in zukünftige Programme eingebunden werden müssen.
Zudem hat sich gezeigt, dass innerhalb der Grundversorgung Gemeinschaftspraxen, in denen mehrere Ärzte aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammenarbeiten, zunehmend mehr Antibiotika verschreiben. Dies kann unter anderem daran liegen, dass Einzelpraxen immer häufiger durch grössere Praxen ersetzt werden. Diese Praxen betreuen oft jüngere Patientinnen und Patienten und behandeln möglicherweise häufiger akute Infektionen. Daher stellen auch sie eine wichtige Zielgruppe für zukünftige Massnahmen im Umgang mit Antibiotika dar.
Wichtige Erkenntnisse für das Gesundheitswesen
Mit der neuen Studie wurden erstmals die Anteile der verschiedenen medizinischen Fachbereiche an den gesamten ambulanten Antibiotika-Verschreibungen untersucht. Die Ergebnisse bilden eine wertvolle Grundlage, um Ärzteschaft spezifischer Fachrichtungen zu adressieren und für einen verantwortungsvolleren and sparsameren Umgang von Antibiotika zu sensibilisieren. So kann der Antibiotikaeinsatz weiter reduziert und die Qualität der Verschreibungen verbessert werden. Ein umsichtiger und gezielter Einsatz dieser lebenswichtigen Medikamente ist entscheidend, um die Wirksamkeit von Antibiotika auch zukünftig zu gewährleisten.
Quellen:
- Graber Sereina M, Stollberg Sabrina M, Plüss-Suard Catherine, Huber Carola A, Kronenberg Andreas, Senn Oliver, Neuner-Jehle Stefan, Plate Andreas. Prescriber-level surveillance of outpatient antimicrobial consumption to enable targeted antimicrobial stewardship: a nationwide observational study, Switzerland, 2015 to 2022. Euro Surveill. 2024;29(37):pii=2300734. https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2024.29.37.2300734
- Murray, Christopher J L et al. Global burden of bacterial antimicrobial resistance in 2019: a systematic analysis The Lancet, Volume 399, Issue 10325, 629 – 655, 2022
- Bara W, Brun-Buisson C, Coignard B, Watier L. Outpatient Antibiotic Prescriptions in France: Patients and Providers Characteristics and Impact of the COVID-19 Pandemic. Antibiotics (Basel). 2022 May 11;11(5):643. doi: 10.3390/antibiotics11050643. PMID: 35625287; PMCID: PMC9137595.