Das gnadenlose Kaputtregulieren des Gesundheitswesens geht ungebremst weiter

Nachdem der Nationalrat im Rahmen der Beratung des zweiten Massnahmenpaketes zur Kostendämpfung den «Netzwerken zur koordinierten Versorgung» eine klare Absage erteilt hatte, entschied die Gesundheitskommission des Ständerates ebenso knapp wie überraschend, diese wieder in die Vorlage aufzunehmen. Das Ziel, die integrierte Versorgung zu fördern, wird damit nicht erreicht.

23.05.2024
Mathias Früh
4 Minuten

Die Fahne zum zweiten Massnahmenpakt für den Ständerat umfasst satte 71 Seiten. Die Regulierungsflut scheint kein Ende zu finden. Unter anderem soll die integrierte Versorgung stärker gefördert werden, indem mit «Netzwerken zur koordinierten Versorgung» ein neuer Leistungserbringer geschaffen werden soll, um so eine optimale und kostengünstige Betreuung chronisch kranker Menschen zu erreichen. Für die grosse Mehrheit der relevanten Stakeholder der integrierten Versorgung war aber schnell klar, dass dieser neue Leistungserbringer keinen Mehrwert bringt, worauf ihn der Nationalrat zu Recht aus der Vorlage gestrichen hat. 

Nun reaktiviert die zuständige Kommission des Ständerates die gleiche Idee wieder, wenn auch in etwas abgeänderter Form. Auf eine Anhörung der relevanten Spezialisten wurde diesmal gänzlich verzichtet. Das ist besonders irritierend, denn die Leistungserbringer haben solche Modelle mit koordinierter Versorgung bereits ohne Zwang umgesetzt – in funktionierenden Hausarztmodellen. Die Krankenversicherer bieten Versicherten und Leistungserbringern entsprechende freiwillige alternative Versicherungsmodelle (AVM) mit Anreizen wie Prämienrabatten und Budgetverantwortung an. Dies funktioniert schon heute sehr erfolgreich. Wir haben es also mit Regulierung ohne Not zu tun.

Alternative Versicherungsmodelle sind eine Erfolgsgeschichte

AVM sind heute sehr vielfältig ausgestaltet. Sie werden bereits von rund 77% aller versicherten Personen freiwillig gewählt und ihr Anteil wächst stetig. Die Versorgung ist nachweislich besser und effizienter. Helsana hat dies nicht nur in zahlreichen Studien gezeigt1, sondern auch gehandelt: Bereits 2018 wurden Qualitätsindikatoren in bestehende Verträge mit den Ärztenetzwerken implementiert.

Durch die richtige Incentivierung haben diese Ärztenetzwerke ihre Qualität verbessert und die Kosten reduziert2. Alternative Versicherungsmodelle sind also eine Erfolgsgeschichte, die es weiterzuentwickeln gilt. Auch wenn sich 23% der Versicherten trotz aller Vorteile von AVM bisher nicht für sie entschieden haben, ist die Schaffung einer Parallelwelt völlig unverhältnismässig. Auch die vorgesehene Regulierung zur Finanzierung von Koordinationsleistungen ist unnötig: Diese werden heute bereits im Rahmen der AVM zwischen Leistungserbringern und Versicherern vertraglich vereinbart.

Alternative Versicherungsmodelle

Quelle: BAG

Bitte keine Dampfhammer-Regulierung!

Für die Förderung einer koordinierten Versorgung braucht es also keine neue Leistungserbringerkategorie, welche die AVM sogar untergraben würde. Stattdessen gilt es an jenen Punkten anzusetzen, die bereits jetzt funktionieren oder vor der Umsetzung stehen und forciert werden sollten.

Beispielsweise verfügen die Krankenversicherer über viele Gesundheitsdaten ihrer Versicherten und können so Verbesserungspotenzial in der medizinischen Versorgung aufzeigen und gezielt auf innovative Versorgungsmodelle hinweisen. Derzeit dürfen diese Erkenntnisse jedoch aus Datenschutzgründen im operativen Bereich der Krankenversicherer nicht genutzt werden. Die Möglichkeit, mit Gesundheitsdaten die medizinische Versorgung zu optimieren, soll nun mit einem neuen KVG-Artikel 56a im Rahmen des zweiten Massnahmenpakets geschaffen werden. In Zukunft können Krankenversicherer so die Versicherten gezielt über geeignete, besondere Versicherungsformen und präventive Massnahmen informieren. Es ist davon auszugehen, dass sich dann allein durch diese Massnahme deutlich mehr Versicherte für die integrierte Versorgung entscheiden werden.

Weitere Reformen zur Stärkung der koordinierten Versorgung wären denkbar. Ein Beispiel dafür hat die Gesundheitskommission des Ständerates erst kürzlich selbst vorgeschlagen: Mit einer zusätzlichen Gebühr sollen Bagatellfälle im Spitalnotfall verhindern werden. Es wurden zwei Varianten diskutiert, wobei die Kommission jene favorisiert, bei welcher der jährliche Höchstbetrag des Selbstbehalts für jede unnötige Konsultation in der Spitalnotfallaufnahme um 50 Franken erhöht wird. Ein Anreiz, der eine Fehlversorgung verhindern soll und eine Idee, die sich durchaus auch zu Gunsten der integrierten Versorgung umsetzen lässt. So würde beispielsweise ein höherer Selbstbehalt für Standardversicherte die AVM noch attraktiver machen.

Die Einführung der geplanten fragmentierten Versorgungsinseln namens «koordinierender Leistungserbringer» hat jedenfalls keinerlei Mehrwert, im Gegenteil: Sie ist, wie oben gezeigt, sogar schädlich. Es ist also klar, dass es keinen Dampfhammer braucht, um integrierte Versorgung zu fördern. Die koordinierte Versorgung wird sich sowieso weiter entwickeln – das ist sonnenklar.