Eine gemeinsame Position – trotz unterschiedlicher Haltung

Stefan Spycher, CEO von Careum, ist Mitglied des SCIANA-Netzwerkes. Im Interview erklärt er, wie die Zusammenarbeit und Herausforderungen im Gesundheitswesen gemeistert werden können.

12.03.2024
Wolfram Strüwe
4 Minuten

Herr Spycher: Wozu dient das SCIANA-Netzwerk?

Wir bringen Führungskräfte und Schlüsselpersonen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens zusammen, um aktuelle und künftige Herausforderungen bezüglich Gesundheit und Gesundheitsversorgung anzugehen. SCIANA wurde von der britischen Health Foundation, der schweizerischen Stiftung Careum und der deutschen Robert Bosch Stiftung initiiert. Das Netzwerk bietet seinen Mitgliedern eine Plattform, um Erfahrungen angesichts drängender Herausforderungen wie der finanziellen Belastung im Gesundheitssystem, der Zunahme chronisch Erkrankter, des demografischen Wandels und von Migration auszutauschen. Zudem erarbeiten die Teilnehmenden innovative Lösungsansätze, die das Potenzial haben, einen sichtbaren und langfristigen Wandel in der Gesundheitsversorgung und Gesundheitspolitik anzustossen.

Stefan Spycher, CEO Careum

Sie haben dazu ein Positionspapier verfasst. Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für unser Gesundheitswesen?

SCIANA sieht die gleichen Herausforderungen im Gesundheitswesen wie andere Akteure und Behörden. Dazu gehört beispielsweise die Versorgung und Finanzierung zu sichern, den Fokus auf den Nutzen, statt die Kosten zu legen, die Digitalisierung zu verbessern und die Effizienz in der Versorgung zu steigern. Aber: Wir ziehen andere Schlussfolgerungen.

Und was fordern Sie?

Wir gehen davon aus, dass es genügend gute Analysen des Schweizer Systems gibt und ebenso genügend gute Vorschläge, wie man es verbessern kann. Entscheidend ist, dass sich die wichtigsten Akteure auf Reform einigen. Wir schlagen fünf Felder vor, die prioritär angegangen werden sollten: die Verbesserung des Zusammenspiels von Bund und Kantonen, die stärkere Nutzung von vorhandenen Informationen und Technologien, den besseren Einsatz des Gesundheitspersonals, die Stärkung der Gesundheitsförderung sowie die Förderung der Nachhaltigkeit.

Sie schreiben, der regulierte Wettbewerb sei ein Bestandteil des Schweizer Gesundheitssystems. Da es keinen Goldstandard für ein Gesundheitssystem gebe, mache es somit keinen Sinn, das Konzept des regulierten Wettbewerbs mit radikalen Reformen über Bord zu werfen. Wenn Sie sich die Geschichte des KVG anschauen: Finden Sie noch wettbewerbliche Elemente in der Grundversicherung oder ist der radikale Umbau nicht längst in vollem Gange?

Das Konzept des regulierten Wettbewerbs wurde in den 1980er Jahren in den Niederlanden entwickelt und dann zu Beginn der 1990er Jahren auf die Schweiz und ins KVG übertragen. Man entschied sich, von verschiedenen konstitutierenden Elementen bewusst abzuweichen. Im ursprünglichen Konzept waren beispielsweise risikogerechte Prämien, einkommensabhängige Franchisen und die Vertragsfreiheit vorgesehen. In der Grundversicherung ist seit jeher der wettbewerbliche Spielraum klein. Es gäbe zwar Ideen, wie er vergrössert werden könnte, beispielsweise in der Vertragsgestaltung oder bei den Medikamenten. Solche Reformen haben es aber schwer.

Sie sagen, es fehlen «konstituierende Elemente des regulierten Wettbewerbs». Sind Sie also der Meinung, dass wir es seit 25 Jahren mit Pseudowettbewerb zu tun haben? Man könnte ja argumentieren, dass viele Probleme auf zu wenig Wettbewerb zurückzuführen sind.

Es gibt heute Wettbewerb zwischen Versicherern und zwischen Leistungserbringern. Ich würde nicht von Pseudowettbewerb sprechen, aber von Wettbewerb innerhalb enger Rahmenbedingungen. Wie weit diese gelockert werden sollen, ist eine wichtige Frage. Dazu gibt es im SCIANA-Netzwerk unterschiedliche Meinungen. Zu messen sind alle Vorschläge an ihrem Potenzial, eine politische Mehrheit zu bekommen. Wichtiger als eine «konzeptuelle Treue» – sei es zu mehr Wettbewerb oder optimierten staatlichen Regulierungen – sind mehrheitsfähige Vorschläge, die das heutige System in die richtige Richtung bewegen.

Ein Positionspapier zu verfassen ist das eine, das andere die Umsetzung: Wie wollen Sie das Sicherstellen?

Mit dem Positionspapier wollen wir vorleben, dass sich Expertinnen und Experten mit sehr unterschiedlichen Haltungen zu einer gemeinsamen Position zusammenraufen können. Nun ist es an der Politik und den Stakeholdern, unseren Impuls aufzunehmen. Natürlich stehen die Mitglieder des SCIANA-Netzwerks gerne für weiterführende Diskussionen zur Verfügung.