«Ich schätze meine Rolle als Brückenbauerin sehr»

Saskia Schenker ist seit Anfang Mai Direktorin des neuen Krankenversichererverbands prio.swiss. Im Interview erklärt sie, wo sie Prioriäten setzt, warum der neue Verband ein Gewinn für die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler ist und was sie von der Politik erwartet.

30.05.2025
Wolfram Strüwe / Nico Nabholz
5 Minuten

Was hat dich dazu bewogen, die Position als Direktorin von prio.swiss anzunehmen?

Saskia Schenker: Zunächst einmal ist es eine Ehre, dass mir diese Verantwortung übertragen wurde. Ich sehe es als riesige Chance für das ganze Gesundheitssystem, dass die Krankenversicherer sich wieder zu einem Verband zusammengeschlossen haben. So können wir nun mit einer gemeinsamen starken Stimme die Gesundheitsversorgung und Gesundheitspolitik in unserem Land mitgestalten – und zwar im Sinne unserer Versicherten: Diese möchten ja als Patientinnen und Patienten Zugang zu qualitativ möglichst hochwertigen Gesundheitsleistungen, die für sie als Prämienzahlerinnen und Prämienzahler aber auch bezahlbar bleiben müssen. Diese beiden Anliegen setzen für uns als prio.swiss, wie der Name bereits sagt, die Prioritäten. Ich bin überzeugt, dass vor allem die Krankenversicherer zu einer ausgewogenen Balance zwischen diesen beiden Polen beitragen können.

Welche Erfahrungen aus deiner bisherigen Karriere wird dir in deiner neuen Rolle am meisten helfen?

Schenker: Fachlich verfüge ich über langjährige Verbandserfahrung, unter anderem auch im Gesundheits- und im Sozialversicherungswesen. Ich schätze diese Rolle als Brückenbauerin zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sehr. Auch mag ich das in der Politik und unter Partnern manchmal nötige harte, aber partnerschaftliche Verhandeln. Man muss den Diskurs mögen und sich auch in die Situation des Gegenübers versetzen können. Ich denke aber, dass im Gesundheitswesen und konkret bei prio.swiss noch etwas anderes im Zentrum steht: meine Überzeugung dafür, dass wir gemeinsam und in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit anderen Playern im Gesundheitswesen wirklich etwas bewegen und verbessern können. Für die Versicherten, die auch in 20 Jahren noch eine der weltweit besten Gesundheitsversorgungen zu bezahlbaren Prämien und Steuern haben möchten. Das treibt mich an.

Welche Prioritäten hast Du für prio.swiss?

Schenker: Eine entscheidende Entlastung unseres solidarisch finanzierten Krankenversicherungssystems sehe ich in der Art und Weise, wie die Versorgung in den Kantonen gestaltet wird. Mit mehr als 270 Einrichtungen ist die Spitaldichte in der Schweiz heute zu hoch. Wir wünschen uns einen Dialog mit den Kantonen, damit diese ihre Spitalplanung über die Kantonsgrenzen hinweg besser aufeinander abstimmen und koordinieren. Das Ziel: Eine echte interkantonale Spitalplanung und eine verstärkte Ambulantisierung. Das beseitigt kostenintensive Doppelspurigkeiten und verbessert gleichzeitig die Qualität, weil nicht mehr jedes Spital alles anbieten muss, sondern sie sich auf bestimmte Behandlungen konzentrieren können.

Weiter begleiten wir die Umsetzung der einheitlichen Finanzierung eng. Diese Reform wird die Verlagerung in den ambulanten Bereich beschleunigen. Das trifft die Bedürfnisse vieler Patienten und ermöglicht zudem spürbare Einsparungen. Ab 2028 sitzen Versicherer und Kantone sozusagen im selben Boot und finanzieren nach einem einheitlichen Verteilschlüssel alle drei Bereiche, die heute unterschiedlich finanziert werden: den ambulanten Bereich, den stationären Bereich und ab 2032 auch die Langzeitpflege, für die bis dahin ein neuer Tarif ausgehandelt werden muss.

Aktuell sind wir zudem intensiv mit den Tarifpartnern daran, die Einführung des neuen Arzttarifs aus TARDOC und ambulanten Pauschalen per 1. Januar 2026 vorzubereiten. Ebenso bleiben wir weiter dran, die Arzneimittelkosten zu dämpfen, unter anderem mit der Einführung der beschlossenen Mengenrabatte für umsatzstarke Medikamente.

Wie willst du sicherstellen, dass prio.swiss eine starke und einheitliche Stimme in der politischen Landschaft hat?

Schenker: Die Tatsache, dass wir nahezu alle Versicherer und damit die Interessen von fast 100 Prozent aller Versicherten vertreten, gibt uns schon einmal per se eine starke Legitimation. Es waren unsere Mitglieder selbst, die diesen Wunsch nicht nur geäussert sondern mit der Gründung von prio.swiss auch umgesetzt haben. Wir führen nun – wie es zu jeder Verbandsarbeit gehört – unsere Diskussionen intern und versuchen, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Das erleichtert vieles. Innerhalb des Gesundheitswesens nimmt prio.swiss nun ihre Aufgaben wahr. Wir sind als Tarifstrukturpartner sowie politischer Ansprechpartner anerkannt und auch als Expertenorganisation bereits in diversen Gremien verankert.

Wichtig ist aber, dass die Bevölkerung per se weiss, dass sich prio.swiss für die Interessen der Versicherten einsetzt. Wir setzen vermehrt auf direkte Kanäle und Auftritte, aber natürlich auch auf eine verstärkte Medienarbeit. Auch die Kantone werden äusserst wichtige Partner sein, da sie in vielen Bereichen Verantwortlichkeiten und Interessen mit den Versicherern und den Prämienzahlern teilen.

Wie wichtig ist das Milizsystem von prio.swiss für dich?

Schenker: Das Milizprinzip, also dass unsere Mitglieder sich sehr aktiv in die Verbandsarbeit einbringen, ist für prio.swiss von zentraler Bedeutung. Es gewährleistet in erster Linie einen kontinuierlichen und intensiven Austausch zwischen der Geschäftsstelle und den Mitgliedern mit entsprechend breiter Abstützung unserer Positionen und unseres Handelns. Wir sind aber auch auf die Expertise unserer Mitglieder angewiesen – denn prio.swiss möchte agil und effizient aufgestellt sein und Synergien mit den Mitgliedern nutzen.

Wir haben in den letzten Jahren eine wahre Reformflut erlebt. Muss das nicht irgendwann mal aufhören?

Schenker: Es gibt nicht nur Jahr für Jahr eine Flut von Revisionen des KVG und der dazugehörigen Verordnungen. Hinzu kommen Hunderte von parlamentarischen Vorstössen, die vom Parlament behandelt werden müssen. Der politische Druck ist also tatsächlich sehr hoch. Das zeigt, wie hoch die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger sind, Antworten auf die aktuellen Herausforderungen des Gesundheitssystems zu erhalten. Mit der einheitlichen Finanzierung und der Revision des ambulanten Arzttarifs haben wir zwei wichtige Grundsteine gelegt.

Wir werden unseren Einsatz in dieser Richtung fortsetzen, um das Gesundheitssystem grundlegend zu verbessern. Hier sehen wir aber viel stärker auch die Kantone in der Pflicht, in dem sie wie oben erwähnt, die Gesundheitsversorgung und Spitalplanung regional und konsequenter an die Hand nehmen. Die Instrumente dafür sind vorhanden. Auf Bundesebene sollten die Politik und mit ihr die Regulierungsflut mal für eine Weile pausieren. Mehr Hektik und mehr Regulierung bringen eher mehr als weniger Aufwand im Gesundheitswesen. Zudem sind wir nun in einer Phase der Umsetzung.

Was wünscht Du dir für prio.swiss?

Schenker: Ich wünsche mir, dass prio.swiss sich als lösungsorientierter, kompetenter und partnerschaftlicher Akteur in der Gesundheitspolitik etabliert und sich einen Namen als Vertreter der Interessen der Prämienzahlerinnen und Prämienzahler macht.