Krebs bei unklaren Symptomen durch einen Labortest ausschliessen? Zu schön, um wahr zu sein. Die meisten Tumormarker sind hierfür ungeeignet. Unangemessene Tumormarker-Bestimmungen können zu falsch-positiven Tumormarker-Bestimmung Anteil der einzelnen Fachrichtungen an allen ambulanten TM-Bestimmungen sowie Anteil angemessener Bestimmungen innerhalb der einzelnen Fachrichtung, *Spezialisten, die hinter den Top 5 rangierten, wurden als «Sonstige» zusammengefasst. Quelle: Helsana Befunden sowie unnötigen Folgeuntersuchungen und Ängsten bei Betroffenen führen. Die Helsana Gesundheits- wissenschaften haben erstmals analysiert, ob Tumormarker in der Schweiz Leitliniengerecht eingesetzt werden.
12.03.2024
Dr. med. Sabrina M. Stollberg
5 Minuten
Tumormarker (TM) spielen eine entscheidende Rolle bei der Behandlung verschiedener Krebserkrankungen. Sie werden im Blut bestimmt und dafür verwendet, die Prognose einer Krebserkrankung abzuschätzen, die Wirksamkeit der Behandlung zu überwachen und einen Rückfall frühzeitig zu erkennen.
Aufgrund ihrer begrenzten Trefferquoten und niedrigen Richtig-Negativ-Raten sind die meisten TM jedoch nicht für Screenings oder bei unspezifischen Symptomen geeignet. Solch unangemessene Anwendungen können nicht nur direkte Kosten für das Gesundheitssystem verursachen, sondern auch den Patienten schaden, indem sie bei falsch-positiven Ergebnissen zu überflüssigen Abklärungen und Eingriffen führen. Zum Beispiel der Tumormarker CEA: Dieser kann nicht nur bei Darmkrebs, sondern auch bei Raucherinnen und Rauchern ohne Tumorerkrankung erhöht sein. Einerseits könnte also ein erhöhter CEA-Wert eine überflüssige und mit einem gewissen Risiko verbundene Darmspiegelung nach sich ziehen. Im schlimmsten Fall wird sogar eine unnötige Operation durchgeführt. Andererseits kann ein falsch-negativer Befund den Patienten in trügerischer Sicherheit wiegen. Wichtige nationale und internationale medizinische Leitlinien lehnen deshalb den Einsatz der meisten TM als diagnostisches Instrument zur Krebserkennung ab. Trotzdem werden solche Tests zu Screening-Zwecken angewendet, wie Hinweise aus internationalen Studien zeigen. Das Ziel der Helsana-Studie war deshalb, die Angemessenheit von TM-Bestimmungen in der ambulanten Praxis der Schweiz erstmals zu beurteilen.
Analysiert wurden insgesamt über 51'000 TM-Bestimmungen bei rund 36'000 erwachsenen Patientinnen und Patienten, die zwischen 2018 und 2021 mindestens einen von sieben verschiedenen TM-Tests Tumormarker-Bestimmung Anteil der einzelnen Fachrichtungen an allen ambulanten TM-Bestimmungen sowie Anteil angemessener Bestimmungen innerhalb der einzelnen Fachrichtung, *Spezialisten, die hinter den Top 5 rangierten, wurden als «Sonstige» zusammengefasst. Quelle: Helsana erhalten hatten. Untersucht wurden unter anderem TM für Eierstockkrebs, Brustkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs und Darmkrebs. Als angemessene TMBestimmung wurden Tests bei Patienten definiert, welche eine entsprechende Krebsdiagnose aufwiesen.
Über die Hälfte aller Tests sind unangemessen
Dabei zeigte sich: Lediglich rund 42% aller TM-Bestimmungen wurden als angemessen klassifiziert. Von allen ambulant tätigen Fachrichtungen ordneten allgemeinmedizinisch tätige Ärzte die Tests am häufigsten an (44%), hatten aber den geringsten Anteil an angemessenen TM-Bestimmungen (28%). Onkologen und ambulant tätige Ärzte von Zentrumsspitälern hatten die meisten angemessenen Tests. Im Durchschnitt wurden bei der ersten erfassten Blutentnahme pro Patient 1,4 verschiedene Tumormarker bestimmt, wobei bei rund 8% der Patienten sogar drei oder mehr verschiedene Tests für verschiedene Krebsarten veranlasst wurden. Bemerkenswerterweise wurden in 1,7% sogar Tumormarker für Eierstockkrebs bei Männern getestet.
Tumormarker-Bestimmung
Anteil der einzelnen Fachrichtungen an allen ambulanten TM-Bestimmungen sowie Anteil angemessener Bestimmungen innerhalb der einzelnen Fachrichtung, *Spezialisten, die hinter den Top 5 rangierten, wurden als «Sonstige» zusammengefasst. Quelle: Helsana
Bewusstsein für Überdiagnostik und deren Risiken schärfen
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass viele TM-Bestimmungen nicht den medizinischen Leitlinien entsprechen und möglicherweise durch vorgefertigte Laborblöcke in den Auftragsformularen beeinflusst werden. So werden sie unter Umständen einfach durchgeführt. Der Marker für Eierstockkrebs bei Männern legt dies nahe. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung scheint somit einem Risiko für verschiedene Leiden ausgesetzt zu sein, welche auf Fehlinterpretationen beruhen. Es ist daher wichtig, das Bewusstsein von Gesundheitsdienstleistern und Patienten gegen den unangemessenen Gebrauch von Tumormarkern zu schärfen. Eine Studie aus Grossbritannien aus dem Jahr 2013 zeigte beispielsweise, dass Massnahmen wie Weiterbildungen für Ärzte und die automatische Ablehnung unsinniger TM-Testanfragen Abhilfe schaffen könnten. Elektronische Systeme mit Informationen über angemessene Tests bei der Laboranforderung könnten ebenfalls hilfreich sein, ohne dabei zusätzliche Bürokratie zu schaffen. Die vorliegende Studie soll zu dieser Diskussion ermuntern.
Referenzen:
Stollberg et al. Are Tumor Marker Tests Applied Appropriately in Clinical Practice? A Healthcare Claims Data Analysis. Diagnostics. 2023. Schulenberg-Brand et al. The impact of local guidelines on the tumour marker requesting patterns of a General Surgery Department. Annals of Clinical Biochemistry, 2013
IInterview mit Prof. Dr. med. Oliver Senn MPH, Stv. Institutsdirektor, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin am Institut für Hausarztmedizin, Universität und Universitätsspital Zürich
Was könnten Gründe für den hohen Anteil unangemessener Tumormarker-Bestimmungen bei den Hausärzten sein?
Sorgen und Ängste, aber auch der Wunsch nach Sicherheit sind häufige Gründe, weshalb Patientinnen und Patienten Laboranalysen respektive Check-up Untersuchungen wünschen. Hausärzte sind dann mit Patientenerwartungen konfrontiert, welche nicht den Empfehlungen der Leitlinien entsprechen. Für die Beurteilung der Studienresultate wären also Informationen zu Patientenerwartungen wichtig. Diese müssen bei entsprechenden Massnahmen zur Verbesserung der medizinischen Qualität berücksichtigt werden. Entsprechende Massnahmen zur Qualitätsverbesserung sollten auch in Relation zu den insgesamt mehr als 300 Millionen Laboranalysen gesetzt werden, die im Zeitraum von 2018 bis 2020 veranlasst wurden.
Wie kann man die unterschiedlichen Ergebnisse der verschiedenen Fachrichtungen einordnen?
Bei der Behandlung gewisser Krebsleiden gibt die TM-Bestimmung wichtige Hinweise über das Ansprechen einer Therapie oder über das Rückfallrisiko, das Dilemma der TMBestimmung im Rahmen einer Check-up-Untersuchung steht nicht im Vordergrund. Diese Krebsbehandlungen werden mehrheitlich bei Onkologinnen und Onkologen oder an Zentrumsspitälern durchgeführt, was den höheren Anteil an angemessenen TM-Bestimmungen erklären dürfte.