«Unsere Argumente sind gut, auch wenn wir bis jetzt allein sind.»
Die Reform über die einheitliche Finanzierung (EFAS) wurde in der Schlussabstimmung vom Parlament im Dezember 2023 angenommen. Der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) hat dagegen das Referendum ergriffen. VPOD-Generalsekretärin Natascha Wey und Gaël Saillen, Leiter Public Affairs bei Helsana, stellten sich den Fragen.
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Nach 14 Jahren hat das Parlament im Dezember letzten Jahres die Reform zur einheitlichen Finanzierung (EFAS) angenommen. Ist dies im Bereich der Gesundheitspolitik die wichtigste Reform seit der Einführung des KVG?
Natascha Wey, Generalsekretärin VPOD: Nein, das finden wir nicht. Wir sind der Ansicht, diese verändert nicht so viel, wie sie verspricht, und sie birgt grosse Gefahren. Wichtig finden diese Reform vor allem die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die 14 Jahre lang daran gearbeitet haben.
Gaël Saillen, Helsana: Das heutige Finanzierungssystem ist anachronistisch, es entspricht nicht mehr dem Behandlungspfad des Patienten. Darum ist es so wichtig, dieses Finanzierungssystem zu ändern. Warum sollte die gleiche Leistung ambulant anders stationär finanziert werden? In der Antwort liegt eine wunderbare Gelegenheit für die Qualitätsverbesserung unseres Gesundheitssystems.
Ganz konkret: Was sind die Punkte, die dem VPOD missfallen?
Wey: Die Reform wird als Allheilmittel verkauft. Aber wir sehen sehr grosse Probleme im Gesundheitswesen: Die strukturelle Unterfinanzierung der Grundversorgung und der öffentlichen Leistungen stationär und ambulant, den hohen Druck aufs Gesundheitspersonal und die Langzeitpflege, die künftig mit der demografischen Entwicklung sehr viel zusätzliches Personal benötigt. Die Reform löst unserer Ansicht nach keines dieser Probleme. Bloss weil sich der Ort der Finanzierung ändert, bedeutet das nicht, dass mehr Geld im System ist.
Saillen: Ich sehe es auch so, im heutigen System haben wir mehr ein Finanzierungs- als ein Kostenproblem. Und das ist genau der Kern von EFAS: Eine einheitliche Finanzierung der Leistungen kann nicht alles lösen, zum Beispiel den Personalmangel. Aber sie ist ein wichtiger Schlüssel, sogar eine Chance für die Langzeitpflege.
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Wie können sie für das Referendum gegen EFAS argumentieren, wenn selbst die Betroffenen wie der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK nicht mitmachen?
Wey: Wir sind nicht der SBK, sondern eine Gewerkschaft, wo unsere Mitglieder im Gesundheitsbereich eine andere Haltung haben. Wir können problemlos unterschiedliche Meinungen haben. Bei der Langzeitpflege sehen wir verschiedene Gefahren: Einerseits sind es heute vor allem die Kantone und Gemeinden, welche die Langzeitpflege politisch steuern. Mit EFAS passiert das dann über eine neue Institution, wo Kantone, BAG und Versicherer drin sind. Wir wissen aus Erfahrung, auch aus dem Ausland, dass in der Langzeitpflege die Aufsicht möglichst nahe an der Leistung sein muss und die Finanzierung an den Kosten. Wir halten es für fatal, wenn wegen EFAS die Restfinanzierung der Kantone wegfällt. Wenn Krankenversicherer die Tarife festlegen, wird der Druck auf die Pflegenden steigen, sie werden «Minütelen» müssen und gezwungen sein, alles einzeln abzurechnen.
Saillen: EFAS ist breit abgestützt: Spitäler, Ärzte und Spitex sowie Versicherer und Kantone unterstützen diese Reform. Das allein spricht schon für sich. Bezüglich der Langzeitpflege: Warum sehe ich EFAS als grosse Chance? Im aktuellen System besteht doch gerade für das Pflegepersonal Unsicherheiten bei der Vergütung, weil der Kanton als Restfinanzierer auftritt. Hinzu kommt: Das Finanzierungssystem ist von Kanton zu Kanton und in den Kantonen manchmal auch noch von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. EFAS ermöglicht die Einführung einer einheitlichen Tarifstruktur, die Sicherheit bringt. Und selbstverständlich werden die Versicherer Preise ermöglichen, die den Leistungen entsprechen. Dazu sind wir gemäss KVG verpflichtet. Die Versicherer sind aber doch nicht die einzigen, die über die Tarifstruktur und die Preise entscheiden: Das muss alles mit dem Pflegepersonal verhandelt werden. Wir haben Tarifpartnerschaft! Und wo liegt das Problem? Die Kantone haben ihren Platz am Verhandlungstisch der Tarifstruktur und sie genehmigen die Preise.
Der VPOD sagt, EFAS sei eine Verlagerung der Verantwortung von den Kantonen zu den Versicherern. Warum soll das so sein?
Wey: Die Kantone wollen in der Langzeitpflege die finanzielle Verantwortung abschieben. Es ist ja nicht so, dass wir in einer linken Utopie leben, wo die Kantone viel Geld ausgeben für das Gesundheitswesen, sondern wir leben in einem bürgerlichen Land, wo konservativ budgetiert wird. Sie sagen selbst, sie wollen die Tarife tief halten – aber das ist weder im Interesse der Qualität noch des Gesundheitspersonals. Und noch etwas: Wenn Herr Saillen sagt, es sei doch so schön, wenn endlich alle am Tisch sitzen und zusammen etwas bewirken, wenn die Arbeitgeber gegen uns sind und eine andere Sichtweise haben, beunruhigt mich das nicht. Wir sind schliesslich eine Gewerkschaft und es ist nicht das erste Mal, dass versucht wird, uns wegen vermeintlich fehlender Kompromissbereitschaft ins Abseits zu stellen.
Da hat der VPOD einen wichtigen Punkt: Warum sollte die Qualität nicht leiden?
Saillen: Zuerst kurz zur Allianz: Die Bedeutung des Bündnisses hervorzuheben, bedeutet nicht, dass wir in einer rosa Welt der «Glücksbärchen» leben. Hinter diesem Kompromiss stehen die Patienten, die Versicherten, die Kantone und das Pflegepersonal. Darum ist dieser Kompromiss ein Erfolg! Was die Qualität betrifft, so fördert EFAS die integrierte Versorgung - es gibt eine Fülle von Literatur zu diesem Thema. Die Qualität wird erhöht.
Wie schätzen sie die Chancen ein, dass das EFAS-Referendum vom Stimmvolk angenommen wird?
Wey: Das Stimmvolk hat Interesse an einer qualitativ guten Langzeitpflege und kein Interesse an steigenden Prämien und dem Verlust an politischer Steuerung. Unsere Argumente sind gut, auch wenn wir bis jetzt allein sind.
Saillen: Bis heute ist der VPOD die einzige Organisation, der das Referendum trägt. Und weil der VPOD keine Alternative zu EFAS vorschlägt, bliebe nur der Status quo. Ich glaube nicht, dass dieser so zufriedenstellend ist, dass wir ihn beibehalten sollten.